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Aiidi, die Hirtenhunde Marokkos

Zurück ans Meer, genauer ans Mittelmeer. An seinen Küsten entlang zogen die Herden der Hirten und mit ihnen wanderten die Hunde. Auch in Marokko kamen sie an und in den Bergen des hohen Atlas entstand der Aiidi oder auch Ayidi geschrieben. Ein Hund, der extreme Wetterbedingungen aushalten muß. Einerseits große Hitze, andererseits die frostig kalten Nächte in den Bergen. Aiidi sind daher mit einem langen und sehr dichten Fell ausgestattet, etwas kleiner als die meisten anderen Hirtenhunde, aber nicht weniger mutig und arbeitsfähig.

Auf unserer Mailingliste wurde er mal als Rätsel vorgestellt.

Gehalten wird er von den Hirten und Nomaden, die auch heute noch durch den hohen Atlas ziehen.

Aiidi sind in der Größe wie kleine Kaukasen, ziemlich langhaarig und es gibt sie, wie bei allen Hirtenhunden in den unterschiedlichsten Farben. Daher liegt ihre Schulterhöhe auch nur so um die Mitte 50 cm. Und ihr Gewicht beträgt zwischen 35 und 40 kg. Wie bei allen anderen Rassen, wichtig ist die Arbeitsfähigkeit, Aussehen ist zweitrangig. Sie bewachen nicht nur die Tiere der Hirten, sondern auch die Lager und Höhlen, während der Wanderschaft.

Über ihre Herkunft ist mir nichts bekannt, allerdings gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder kamen sie von er Iberischen Halbinsel, was eher unwahrscheinlich ist. Oder sie sind mit Schafen und Ziegen aus Kleinasien nach Marokko gekommen. Das halte ich für die wahrscheinlichere Lösung.

Der nachfolgende Text stammt von dem Autor und Dokumentarfilmer Gerald Krakauer, der Aiidis auf einer Expedition in den hohen Atlas kennen gelernt hat. Und von ihm bekam ich auch die Bilder aus Marokko.

Der Aiidi ... Hirtenhund in Marokko

Hirtenjungen mit einem Aiidi
Foto: Dr. Gerald Krakauer

... Dort lernen wir neben dem Sloughi auch den "Chin" kennen, auf Arabisch den "Hund", nach dessen Berührung sich ein gläubiger Moslem eigentlich die Hand waschen muß. Er fristet ein Dasein, wie der Franzose Daumas es 1853 beschrieb und schlimmer.

Ein Chin ist ein Pariahund, ein Dorfköter, manchmal ein Streuner, manchmal ein Hofhund. Mohammed, wie fast alle Hofbesitzer, hält ein paar von Ihnen in seinem Gehöft auf dem Plateau zwischen Safi und Marrakech. Gefüttert werden sie nicht, ihre Nahrung müssen sich die Tiere selbst suchen, häufig genug aus dem Abfall. Die Sloughis dagegen - sie werden nie einfach als .Hund" bezeichnet - bekommen einen nahrhaften Brei aus Olivenöl und Mehl.

Die einen werden gefüttert, weil sie rein sind, die anderen sind unrein, weil sie nicht gefüttert werden - absurde Konsequenz, die ursprünglich wohl einem uralten Hygienedenken entsprang. Schlimmer aber, was wir am Wegesrand finden, als wir Mohammeds Dorf verlassen. Da liegt, achtlos neben der Straße, der unerwünschte Nachwuchs einer Hofhündin, erschlagen mit einem Stein. Die Hunde starben, weil sie unrein waren und wertlos -ein für Sloughi - Welpen undenkbares Schicksal. Wenn der Besitzer sie nicht behalten will, kann er sie problemlos verkaufen, bisweilen für recht viel Geld.

Wir fahren weiter, Richtung Süden, weg aus dem Sloughi - Land, hinein in den Hohen Atlas. Wüsten, schroffe Gebirge, Palmen und Schnee wechseln sich ab, eine unglaubliche Vielfalt der Landschaften und auch der Menschen. Hier, im ansteigenden bergigen Gelände, .treffen wir auf Berbernomaden, die gemeinsam mit den Sesshaften ihres Volkes die Ureinwohner Marokkos sind. Karg nur wachsen hier Gräser, Kräuter und Büsche aus den Geröllwüsten und den steinigen Matten der Berghänge. Ausreichend aber für die gemischten Schaf- und Ziegenherden der Nomaden, die von robusten, langhaarigen Hirtenhunden begleitet werden. Aidis heißen sie und sind der andere bedeutende Hundetyp des Königreichs Marokko, sozusagen das Gegenmodell zum Sloughi.

Nur in Marokko ist dieser Hund anzutreffen, schon ein paar Gebirge weiter östlich sieht er bereits etwas anders aus. Und doch ist er ein alter Bekannter auf unserer Reise zu den Arbeitshunden dieser Welt: In Nepal trafen wir schon seinen asiatischen Vetter, als Do- Khyi, Tibet-Dogge oder Tibet - Mastiff. Hier in Marokko hat er sich zum Aidi entwickelt, ein lebendes Erbe aus der Steinzeit aller Völker.

Foto: Dr. Gerald Krakauer

Rund um das Mittelmeer sind solche Hunde zu finden, in den Gebirgszügen vom Atlantik über Mittel- und Osteuropa, quer durch Kleinasien, vom Kaukasus über den Himalaja bis hin zum Chinesischen Meer. Vermutlich von Osten kommend, haben ihn Krieger und Händler um die halbe Welt mit sich geführt. Überall, wo er sesshaft wurde, bildete sich eine neue "Rasse", nur geringfügig von den Vorfahren zu unterscheiden.

Im Unterschied zu den Sloughis wurde er weder hier noch anderswo sorgfältig gezüchtet - die einzige Auslese erfolgte durch die Natur. Kranke Aidis werden nicht kuriert, schwache nicht aufgepäppelt, Welpen nicht besonders versorgt: Was nicht leben kann, das stirbt eben. Eine brutale Logik, aber sie garantiert eine gesunde Hunderasse, wiederstandsfähig in einer unfreundlichen Umwelt, die nur den fähigsten und Fittesten das Überleben ermöglicht.

Als Bauern-, Hirten- und Treibhunde fassen Kynologen solche Hunderassen zusammen, auch als Kriegshund mögen in früheren Zeiten einige von ihnen Verwendung gefunden haben. Das würde erklären, warum sich ihr Entstehen stets in der Nähe von Stützpunkten, Durchgangsstraßen und militärischen Aufmarschwegen abspielte. Es erklärt auch das offene Misstrauen und bisweilen aggressive Verhalten, das diese Rassen meistens allem Fremden gegenüber zeigen.

Sie dienen allein den Hirten, denen in den Bergen ihre traditionelle Lebensweise nur mit Hilfe der Hunde möglich ist. Wie die ihnen verwandten Hunde hüten Aidis die Herden nicht, sie bewachen sie nur. Dabei reagieren sie nicht wahllos aggressiv, sondern vermögen zwischen harmlosen Wanderern und Räubern, die der Herde gefährlich werden könnten, zu unterscheiden. Ohne Gnade verfolgen sie dagegen Wölfe und Schakale.

Beschützer wie die Aidis sind die ursprünglichsten Begleiter von Herden. Erst viel später entwickelten sich ihre meist kleineren und wendigeren Verwandten, die Hütehunde, bis sich schließlich im Allroundtier wie dem Deutschen Schäferhund die Fähigkeiten zum Schutz und zum Treiben der Herden verbanden. Die Hunde hier im hohen Atlas sind jedoch noch ganz auf Schutz und Abwehr eingestellt. Die Schutzfunktion ist ihnen dabei genetisch angeboren, die Abwehrfunktion entstand durch den starken Selektionsdruck, den tierische und menschliche Feinde ausübten: Nur starke Tiere überlebten räuberische Angriffe.

Foto: Dr. Gerald Krakauer

Beide Funktionen üben die Aidis in Perfektion aus. Jeder Aidi kennt "seine" Schafe und Ziegen - und das Vieh kennt wiederum "seine" Hunde. Perfekt überwachen die Aidis die Herden, schützen sie bei Wanderungen und verteilen sich beim Grasen der Tiere ganz von selbst auf strategische Punkte, um einen feindlichen Fremden vertreiben zu können. Das zeigt die Qualität dieser Rasse: Menschen müssen ihr keine Befehle geben. Umsicht, Einsicht und Eigeninitiative der großen Tiere reichen aus, um ihnen selbst sehr komplexe Abläufe zu überlassen.

Auf der Sommerweide einer Nomadenfamilie treffen wir auf besonders schöne Exemplare: drei große zottelige Hunde, die dem provisorischen Standard, der inzwischen für den Aidi entwickelt wurde, perfekt entsprechen. Kräftig, mächtig und muskulös muß er wirken, sehr tief herab sich sein Brustkorb ziehen, an Hals und Kehle wird eine Mähne gefordert. Am wichtigsten aber: Der Pelz des Aidi soll einem Panzer gleichen, der ihn in den Kämpfen gegen verschiedene Raubtiere und gegen die Witterung schützt.

Die drei aus dem Hohen Atlas zeigen all diese Merkmale und noch viele andere, die, mehr ästhetischen Wert haben, als daß sie die Leistungsfähigkeit der Tiere definieren: trockene Lippen zum Beispiel, mit schwarzen oder braunen Konturen, immer in Übereinstimmung mit Nasenspiegel und Fellfarbe. Nicht alle Aidis, die wir unterwegs treffen, können damit aufwarten - allzu leicht mischen sich die Nomadenhunde mit den Parias in den Dörfern.

Ein Leben als "Haus"-Tier würde beiden einen wesentlichen Teil ihrer Identität rauben. Deshalb büßte der Barsoi ein Stück seines Wesens ein, und so verloren auch einige Terrier ihre ursprüngliche Seele. Für sie alle gilt die Moral einer Anekdote, die der Azawakh-Freund und Afrika-Reisende Hans Jürgen Strassner überliefert hat. Nach ihr soll der ägyptische Vizekönig Abba Pascha zum Abgesandten des Königs Wilhelm I. von Württemberg, Freiherr von Hügel, 1853 gesagt haben: "Ich bezweifle nicht, daß es Ihnen gelingen wird, sich arabische Pferde zu beschaffen. Glauben Sie deshalb jedoch nicht, nun Araber züchten zu können; denn jeder reinblütige Araber ist so lange reinblütig, wie er die Weite der Wüste einatmet und unter seinen Hufen die Wärme der Wüste fühlt"

Was für Afrikas Wüstenpferde gilt, hat auch seine Gültigkeit für die Hunde dieser Regionen. Auf unserer Marokko Fahrt sind wir Freunde von Sloughi und Aidi geworden. Und wir zweifeln daran, daß diese Rassen, fern von ihrem Lebensraum, sich selbst treu bleiben könnten. Zwei ihrer größten Fähigkeiten würden sinnlos oder gingen verloren: Ihre dem Menschen vorteilhafte Instinktgebundenheit und ihre Anpassung an dessen Bedürfnisse in einer manchmal gnadenlosen Umwelt. Wir hoffen, daß es in Marokko noch lange möglich bleibt - das freie Leben der Menschen und der Hunde.

Gerald Krakauer

Sicher kann man trefflich darüber streiten, ob Hirtenhunde, die das erste mal außerhalb ihrer ursprünglichen Heimat gezüchtet werden, sich selbst treu bleiben können. Meiner Meinung nach geht das schon, denn die Fähigkeit "Herdenschutzdienst" leisten zu können, ist einem Hirtenhund nicht angeboren, er erlernt sie durch entsprechende Erfahrung und Sozialisation. Seine Gene geben ihm lediglich die Voraussetzungen mit auf den Weg, der Rest auf dem Weg zum Arbeitshund wird von Menschen geleistet, denn auch ein Schutzhund mit SH-Prüfung wird nicht als solcher geboren.

Allerdings ist es wichtig, daß Hirtenhunde eine Aufgabe bekommen und die darf eben nicht sein, Schutzhund zu spielen und Prüfungen dieser Art zu machen.

Leider tauchen seit etwa 2 Jahren die ersten Aiidis in Frankreich und auch in Deutschland auf. Leider deswegen, weil sie in die Hände sogenannter Züchter geraten, die offenbar den Charakter dieser Hunde nicht oder nur teilweise begreifen. Folge davon, bereits am Fell ist die Umwandlung zum "Europäer" zu erkennen und die Veränderungen des Charakters kommen bestimmt, denn kein Züchter weiß, wie äußerliche Merkmale und "innere Werte" genetisch miteinander verbunden sind.

Hartmut Deckert

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